Cover
Titel
La otra Alemania. España y la República Democrática Alemana (1949–1990)


Herausgeber
Faraldo, José M.; Sanz Díaz, Carlos
Reihe
Comares Historia
Erschienen
Albolote 2022: Comares Editorial
Anzahl Seiten
264 S.
Preis
€ 24,70
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lea Frese-Renner, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Manchmal hat es etwas Gutes, wenn es einige Jahre dauert, bis ein Buch entsteht. Dass etwa der auf eine Tagung an der Universidad Complutense de Madrid im Jahr 2013 zurückgehende, von den Historikern José M. Faraldo und Carlos Sanz Díaz herausgegebene Sammelband „La otra Alemania“ (Das andere Deutschland) erst im vergangenen Jahr erschien, erlaubt es der Rezensentin, zum Einstieg auf ein bislang kaum beachtetes Jubiläum zu verweisen: 2023 jährt sich die Aufnahme diplomatischer Beziehungen Franco-Spaniens mit der DDR zum fünfzigsten Mal. 1973 gingen also zwei Diktaturen Beziehungen ein, die sich nicht nur auf unterschiedlichen Seiten des Eisernen Vorhangs befanden, sondern auf dem ideologischen Spektrum des 20. Jahrhunderts kaum weiter voneinander hätten entfernt sein können. Zu allem Überfluss bezog die DDR sich in ihrem antifaschistischen Gründungsmythos auf den Spanischen Bürgerkrieg, den der spanische Diktator Francisco Franco zum antikommunistischen Kampf stilisierte. Den Umstand, dass es ausgerechnet mit der SED-Diktatur zum „ersten – und einzigen – Austausch von Diplomaten zwischen der franquistischen Diktatur und einem europäischen sozialistischen Land“ (S. XI)1 kam, nehmen Faraldo und Sanz Díaz zum Ausgangspunkt ihrer Einleitung zu einem Band, der die wechselhaften Beziehungen der beiden Staaten im Zeitraum von der Gründung der DDR bis zu ihrer Eingliederung in die Bundesrepublik untersucht.

Der spanischsprachige Band macht es sich einerseits zur Aufgabe, bei einem spanischen Publikum Interesse für einen untergegangenen Staat zu wecken, dessen Bild dort in erster Linie von Filmen wie „Das Leben der Anderen“ und „Good Bye, Lenin!“ geprägt sei. Andererseits verfolgt der Sammelband den Anspruch, zu einer neueren international und transnational ausgerichteten DDR-Forschung beizutragen.2 Er schließt an bestehende Forschungsarbeiten über die Beziehungen der DDR zu west- und südeuropäischen Ländern an und adressiert zugleich eine Forschungslücke, der sich jüngst eine spanisch- und eine deutschsprachige Dissertation zu Spanien und der DDR widmeten.3 Dabei sind insbesondere von der dieser Tage erscheinenden Dissertation Jenny Baumanns, die sich durch einen differenzierten Blick und eine umfangreiche Quellenbasis empfiehlt, neue Ergebnisse zu erwarten.

Anders als die chronologisch vorgehenden Dissertationen untergliedert der vorliegende Band die mehrheitlich von spanischen und deutschen Historiker:innen verfassten Beiträge thematisch. Im ersten Teil zum Thema „Staaten“ legt Sanz Díaz schlüssig dar, wie die Konjunkturen des Kalten Kriegs und das Bestreben, die internationale Isolation zu überwinden, den Umgang Franco-Spaniens mit der DDR seit 1949 prägten. Die „vollständige Ausrichtung“ (S. 10) an der Bonner Politik und die bereitwillige Akzeptanz der Hallstein-Doktrin ließen sich eben nicht nur gut mit dem franquistischen Antikommunismus vereinbaren, sondern sollten laut Sanz Díaz vor allem die Beziehungen zur Bundesrepublik sichern. Mit dem Beginn der internationalen Entspannungspolitik passte auch Spanien ab 1969 sukzessive seine DDR-Politik an und artikulierte „eine eigene spanische Ostpolitik“ (S. 22). Der deutsch-deutsche Grundlagenvertrag von 1972 ebnete endgültig den Weg für die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen. Der kommerzielle Handel zwischen den beiden Staaten dagegen begann in begrenztem Umfang bereits in den 1950er-Jahren und damit lange vor der neuen Ostpolitik, wie der Historiker Xavier María Ramos Díez-Astrain zeigt. Während die DDR vorrangig Industrie-Produkte nach Spanien lieferte, kamen aus Spanien Südfrüchte in die DDR, die dortige Konsumbedürfnisse bedienten. So plausibilisiert Ramos Díez-Astrain, dass die DDR angesichts der Vollstreckung von fünf Todesurteilen wenige Monate vor Francos Tod im Jahr 1975 zwar die diplomatischen Beziehungen abbrach, den Handel aber weiterlaufen ließ. Die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen 1977 mit einem Spanien, das sich inzwischen in der Übergangsphase vom Franquismus zur parlamentarischen Monarchie befand, trug dann zu einem Aufschwung der kommerziellen Beziehungen bei. Die Beiträge zeichnen so ein Bild zweier pragmatischer Diktaturen, das Faraldos Beitrag zur DDR-Staatssicherheit und Spanien noch einmal unterstreicht: Ihm zufolge war Spanien für die Stasi schlicht „ein normales Land“ (S. 64, Herv. i. O.).

Im „Parteien“ betitelten zweiten Teil bietet es sich an, die Beiträge des Historikers Sebastian Seng und des Politikwissenschaftlers Andreas Baumer zur Beziehung der SED zu ihrem spanischen Pendant, dem unter Franco verbotenen PCE (Partido Comunista Española), zusammenzulesen. Baumer beschreibt, wie sich die spanischen Kommunisten als Teil der demokratischen Opposition gegen die Franco-Diktatur immer weiter von der Sowjetunion entfernten. Großen Einfluss übte der Generalsekretär des PCE Santiago Carrillo aus, der schon Ende der 1950er-Jahre eine „ideologische Reorientierung“ (S. 92) einleitete. Als entscheidenden Wendepunkt identifiziert Baumer den Prager Frühling 1968 und die militärische Intervention der Sowjetunion, die der PCE verurteilte. In der Folge entstand das Konzept eines ab 1975 als Eurokommunismus bekannten demokratischen Sozialismus. Der PCE als dessen entschiedenster Vertreter und die orthodoxe SED als Moskau-treue Partei vertraten damit diametral entgegengesetzte Positionen innerhalb der internationalen kommunistischen Bewegung. Vor dem Hintergrund dieses von Baumer entfalteten Tableaus ist auch der Beitrag von Seng zu verstehen, der auf den schlechten Zustand verweist, in dem sich die Beziehungen des Isolationsbefürworters PCE und der auf das Konzept der friedlichen Koexistenz pochenden SED 1973 befanden. In der DDR erhoffte man sich nun Möglichkeiten, eine Kurskorrektur des PCE zu erwirken. Zugleich stellte die Unterstützung der illegalen ‚sozialistischen Bruderpartei‘ für die SED weiterhin eine Quelle der Legitimität dar. Dass letzteres zunächst auch für den FDGB und dessen materielle Unterstützung des gewerkschaftlichen Widerstands gegen Franco galt, belegt der Beitrag des Historikers Andreas Jüngling. Er zeigt zudem die Grenzen auf, an die der DDR-Gewerkschaftsbund in Spanien stieß: Konkrete Forderungen konnte der FDGB kaum stellen, ohne die eigenen Schwächen offenzulegen.

Das Potenzial zum kontrastierenden Erkenntnisgewinn erschließt in Teil drei zu „Kulturen“ weiter der Historiker José Luis Aguilar López-Barajas mit einem Vergleich. Er arbeitet heraus, wie unterschiedlich Franco-Spanien und die DDR in der Praxis beim Versuch vorgingen, den Tourismus ihrer Bevölkerung zu fördern, obschon den Vorstellungshorizont beider Diktaturen Konzeptionen von Freizeit und Tourismus aus dem liberalen Westen bestimmten. Die letzten fünf Beiträge in den Teilen zu „Culturas“ und „Legados“ (der spanische Plural für Erbe) spüren im weitesten Sinne den kulturellen Spuren Spaniens in der DDR nach, wohingegen die kulturelle Präsenz der DDR in Spanien nur am Rande thematisiert wird. Die Beiträge eint, dass sie über eine Interpretation des Spanischen Bürgerkriegs als Legitimationsreservoir für die DDR hinausgehen. So analysiert der Medienwissenschaftler Fernando Ramos Arenas Repräsentationen des Spanischen Bürgerkriegs in DEFA-Filmen auf ihre ästhetischen und inhaltlichen Aktualisierungen hin. Er zeigt, dass die Repräsentationen auf gegenwärtige Belange in der DDR reagierten und wahlweise dazu dienen konnten, die Einführung der Wehrpflicht 1962 zu legitimieren oder eine utopische Alternative zum Staatssozialismus darzustellen. Die Historikerin Birgit Aschmann wiederum verweist in ihrem Beitrag auf die Schattenseiten des Liederbes der deutschen Interbrigadisten und problematisiert das in den Liedtexten nachhallende „Echo einer vernichtenden Intoleranz“ (S. 221). Hanns Eisler und Ernst Busch seien eben ausgerechnet zur Zeit der stalinistischen Säuberungen zu unumstrittenen Ikonen geworden. Den Band beschließt ein als Handreichung für spanische Historiker:innen gedachter Überblick der für eine Erforschung der DDR relevanten deutschen Archive von der Historikerin Carolina Labarta.

Ein großes Verdienst von „La otra Alemania“ ist es, einem spanischsprachigen Lesepublikum eine Einführung zu den spanischen DDR-Beziehungen zu bieten. Wünschenswert gewesen wären dabei ein Abkürzungsverzeichnis sowie ein gründlicheres Lektorat und Korrektorat, insbesondere im Hinblick auf stellenweise inhaltliche Ungenauigkeiten. So begann der Aufstand vom 17. Juni eben nicht in Ost-Berlin (S. 49), sondern in den ländlichen Gebieten der DDR.4 Auch gewann Willy Brandt dank zweier von der Stasi gekaufter Stimmen nicht etwa die Wahl zum Kanzler (S. 61). Vielmehr fehlten diese Stimmen dem Oppositionsführer Rainer Barzel bei dem von ihm im Jahr 1972 gegen Brandt angestrengten Misstrauensvotum.

Der Band bietet aber auch für Wissenschaftler:innen außerhalb Spaniens eine anregende Lektüre, die dazu einlädt, weitergehende Fragen zu stellen. Vielversprechend wäre es beispielsweise hinsichtlich des zeitlichen Rahmens gewesen, analog zu der Tendenz der deutschen Zeitgeschichtsschreibung, sich zunehmend der postsozialistischen Transformation zuzuwenden, Entwicklungen über die Jahre 1989/90 hinaus explizit einzubeziehen. Ansätze dazu finden sich im Beitrag der Germanistin Marta Fernández Bueno, die zeigt, dass der aus dem Baskenland in die DDR remigrierte Schriftsteller Fritz Rudolf Fries und andere ostdeutsche Autoren nach 1989/90 die Figur des Don Quijote bemühten, der die „Sehnsucht [...] nach dem utopischen Moment“ (S. 166) verkörpert habe. Der Historiker Alberto Carrillo Linares wiederum, der die Produktion von Tonträgern mit Liedern der Internationalen Brigaden in der DDR nachzeichnet, deutet wiederholt an, dass die Weitergabe dieses „Erbes“ (S. 200) 1990 geendet habe, benennt aber gleichzeitig Neuauflagen dieses Kanons in der jüngsten Gegenwart. Darauf, dass die Lieder von Ernst Busch in der Nachwendezeit eine identitätsstiftende Wirkung hatten, verweist nicht zuletzt ein Zitat im Beitrag von Birgit Aschmann. An diese Vorstöße anknüpfend tut sich eine Reihe möglicher Forschungsthemen auf, die sich auf folgende Frage zuspitzen lassen: Endete die Geschichte der Beziehungen der DDR zu Spanien wirklich 1990 oder entwickelte sie vielmehr ein Nachleben, dem nachzugehen sich lohnen würde? Dies hieße auch, nach der spanischen Wahrnehmung der Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen mit Erinnerungspolitik zu fragen, die im Band nur leise anklingt.

Anmerkungen:
1 Dieses Zitat aus dem Sammelband und alle weiteren wurden von der Verfasserin der Rezension übersetzt.
2 Vgl. Kerstin Brückweh u.a., Forum. What’s Next? Historical Research of the GDR Three Decades after German Unification, in: German History 41 (2023), S. 279–296, hier S. 290f.
3 Vgl. Xavier María Ramos Díez-Astrain, A través del Telón de Acero. Historia de las relaciones políticas entre España y la RDA (1973–1990), Madrid 2021. Die Dissertation von Jenny Baumann ist Anfang September 2023 unter dem Titel „Ideologie und Pragmatik. Die DDR und Spanien 1973–1990“ im Verlag Walter de Gruyter erschienen.
4 Vgl. bspw. Jens Schöne, Jenseits der Städte. Der Volksaufstand vom Juni 1953 in der DDR, Erfurt 2023.